Die Projektpraxis

Im Laufe der Jahre hat sich folgender Ablauf bewährt.

Phase 1: Kennenlernen und Gruppenbildung (erster Abend)

Alle Beteiligten, 32 Jugendliche, 12 Studierende und 8 Betreuer, kommen am ersten Abend zusammen, um gemeinsam Kennenlernspiele zu spielen. Am Ende werden Stammgruppen gebildet.

Beispiel für ein typisches Kennenlernspiel am ersten Abend

Immer acht Jugendliche sind in einer Stammgruppe, jeweils zwei Teilnehmer_innen aus Serbien, Kroatien, Rumänien und Deutschland. Insgesamt werden vier Stammgruppen gebildet, die während des Camps jeweils einen eigenständigen Kurzspielfilm drehen. Die Stammgruppe ist die Hauptbezugsgruppe der Jugendlichen. Hier lernen sie sich intensiv kennen und arbeiten eng zusammen. Jede Stammgruppe entsendet jeweils 4 Filmexpert_innen und 4 Schauspielexpert_innen in die Grundausbildung, die am zweiten Tag in den Expertengruppen beginnt.

Vertrauens- und Entspannungsübung: «Pizza belegen». Vertrauensübung: Kücken im Ei

weitere Hinweise zur Phase 1: «Kennen lernen»

Phase 2: Grundausbildung wahlweise in den Bereichen «Schauspiel» oder «Film» (2. bis 4. Tag)

In den Expertengruppen lernen die Schauspiel- und Filmexpert_innen die Grundlagen des jeweiligen Bereichs kennen. Die Vermittlung erfolgt konsequent praxisorientiert anhand von konkreten Aufgabenstellungen, die zunächst gelöst werden müssen und anschliessend gemeinsam besprochen und auch sprachlich eingeordnet werden. Die Filmexpert_innen arbeiten während der Übungsphase zunächst mit iPads. Die sind schnell einsatzbereit und die ersten Aufnahmen können unmittelbar mit Videobearbeitungsapps wie iMovie geschnitten werden. Weiteres Filmequipment wie Stative, Tonangeln und Mikrofon, Kopfhörer, Licht kommen schrittweise im Laufe der immer anspruchsvoller werdenden Übungen hinzu.

Schauspielübung: Raumlauf mit Emotionen Schauspielübung: «Boss, ich habe den Schlüssel verloren». Hier müssen die Jugendlichen hintereinander erst einen niedrigen und dann einen hohen Status spielen.

Auf längere verbale Theoriephasen der Studierenden wird verzichtet. Stattdessen sollen die Jugendlichen möglichst viel Gelegenheit haben, die Fremdsprache Deutsch zu sprechen. Daher folgt das Camp dem Ansatz «Lernen durch Lehren» (LdL). Nach einem Vormittag fachlichem Input in den Expertengruppen kommen nachmittags die Stammgruppen zusammen. Die Filmexpert_innen erklären den Schauspielexpert_innen, was sie über Film gelernt haben und umgekehrt. Auf diese Weise kommen die Jugendlichen in einen intensiven sprachlichen Austausch. Das «Lernen durch Lehren» wird unterstützt durch Filmaufnahmen aus den Expertengruppen, die sich die Jugendlichen gegenseitig zeigen und erklären. Es werden auch gemeinsam kleine Miniprojekte durchgeführt – wobei die Filmexpert_innen die Schauspielaufgaben und die Schauspielexpert_innen die filmischen Tätigkeiten übernehmen.

Filmexperten erklären den Theaterexperten die Grundlagen der Bildkomposition

Zum Ausgleich gibt es Abends unverbindliche und verbindliche Freizeitangebote wie Tanzunterricht, Geländespiele, Mannschaftssportarten, Karaoke, etc.

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Phase 3: Die Produktion eines One-Minute-Films als Vorübung (5. Tag)

Nach Abschluss der Grundausbildung drehen die Stammgruppen einen One-Minute-Film als Vorübung für das nachfolgende Spielfilmprojekt. Die Teilnehmer_innen durchlaufen dabei den gesamten Workflow einer Filmproduktion: von der Ideenfindung, über die szenische Ausgestaltung, bis hin zur Erstellung eines Fotoboards als Vorstufe zum eigentlichen Dreh. Auch der digitale Schnitt ist Teil der Übung. Die Studierenden sind in dieser Übungsphase sehr präsent und unterstützen die Jugendlichen insbesondere bei ihren Aufgaben am Set sowie bei der Storyentwicklung und bei der Erstellung des Fotoboards. Die fertigen One-Minute-Filme werden am selben Abend im Plenum vorgeführt.

Phase 4: Tagesausflug (6. Tag)

Die Hälfte des Camps ist vorüber. Die Jugendlichen beginnen ihr eigentliches Film-Projekt in der Stammgruppe. Die Expertengruppen werden von nun an aufgelöst. Bevor sie sich jedoch in die Arbeit stürzen, ist ein Entspannungstag eingeplant. Das Camp in Seligstadt wird am frühen Morgen verlassen. Ein Ausflugsziel in der näheren Umgebung – meist eine Stadt als Kontrastprogramm zum idyllischen Landleben – wird angesteuert. Hier haben die Jugendlichen Freizeit und können sich den Tag frei gestalten und sich auch ausserhalb ihrer Stamm- und Expertengruppen näher kennen lernen.

Phase 5: Storyentwicklung (7. Tag)

Die Stammgruppen entwickeln eine Geschichte, die sie in den verbleibenden fünf Tagen verfilmen wollen. Wichtig ist, dass die potenziellen Schauplätze vor Ort in die Handlung eingebunden werden. Die Storyideen sollen schliesslich verfilmbar sein. Und verfilmbar sind vor allem jene Geschichten, die an Orten spielen, die ohne grossen Aufwand zugänglich sind. Zur Inspiration erfolgt eine intensive Ortsbegehung und die Jugendlichen fotografieren dabei interessante Plätze, Objekte und potenzielle Requisiten. Die Fotos werden im Anschluss besprochen und erste Ideen für Geschichten, werden gesammelt, die an den Schauplätzen spielen könnten. Je nach Bedarf und Gruppenkonstellation werden unterschiedliche Methoden der Geschichtenentwicklung angewendet.

  • Zuvor entwickelte Figuren (Expertengruppe Schauspiel) treffen aufeinander und im improvisierten Spiel entstehen erste Ideen.
  • Im Kreis wird gemeinsam eine Geschichte erzählt, wobei jede Person einen Satz beisteuert. Drei Personen sind für die Einleitung, sechs für den Hauptteil und drei für den Schluss zuständig. Das so entstandene Geschichtengerüst wird daraufhin abgeklopft, ob es Erzähl-Kriterien wie «Entwicklung des Helden», «Grundproblem», «Schwellenhüter», «spannender Moment», «unerwartete Wendung», enthält. Bei Bedarf und Eignung wird das Geschichtengerüst weiter ausgearbeitet.
 
 Videobeispiel: Schauplatzanalyse in einer Kirche

Ziel des 7. Tages ist die Entwicklung der Story in einzelnen Szenen. Es muss klar sein, was passiert, welche Figuren in der Geschichte auftreten und wo die Handlung passiert. Die Geschichte wird dann in Szenen aufgeteilt, die später ortsbezogen verfilmt werden. Dialoge werden zu diesem Zeitpunkt noch nicht konkretisiert. Die Jugendlichen brauchen in der Phase der Storyentwicklung in der Regel noch intensive Unterstützung von den Studierenden, da sie z. B. nicht einschätzen können, wie viel Filmlaufzeit benötigt wird, um eine Geschichte filmisch zu erzählen. Weitere Probleme entstehen häufig bei der Gestaltung von logisch nachvollziehbaren Erzählabläufen, beim Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit sowie bei den Motiven, die die handelnden Figuren bewegen («um jemanden richtig zu hassen, muss zuvor einiges passiert sein»)

Phase 5: Filmische Umsetzung der Story – Szenenentwicklung und Fotoboarding (8. Tag)

Die bisher nur grob entwickelten Szenen werden nun weiter ausgestaltet. Besonders wichtig sind dabei die filmischen Kameraeinstellungen. Direkt an den Schauplätzen wird überlegt, wie die Szenen ins Bild gesetzt, d. h. welche Kamerastandpunkte geeignet sind und welche Bildausschnitte gewählt werden könnten. Diese Arbeit kann nicht theoretisch am Schreibtisch erfolgen. Damit die Überlegungen nicht in Vergessenheit geraten, fotografieren die Teams ihre Einstellungen nacheinander und erstellen mit der App «Comic Life» einen Fotocomic zu ihrer Geschichte. Daraus geht genau hervor, wo welche Personen im Bild stehen, welche Kamerabewegung gewählt wird – und: was die Akteure zueinander sagen. Dialoge werden gemeinsam entwickelt und in Sprechblasen in die Bilder des Fotoboards eingefügt – ebenso wie Hinweise zur Kameraarbeit oder zur Schauspielführung. Das fertige Fotoboard dient später als Grundlage für die Kommunikation und das gemeinsame Filmen am Set.

Parallel zur Entstehung des Fotoboards wird mit den Schauspieler_innen an ihren Rollen gearbeitet. Die passenden Dialoge entstehen, wenn die Jugendlichen sich vor Ort in den für die Rolle nötigen emotionellen Zustand versetzen.

 
Zwei Jugendliche entwickeln mit Unterstützung eines Studierenden einen Dialog vor Ort. Es geht darum, dass der Junge von Zuhause weggelaufen ist, weil die Eltern ihn nicht in die Schule lassen, sondern ihn zur Feldarbeit abkommandieren. Der Junge muss nun in seiner Rolle glaubhaft deutlich machen, weshalb er nicht wieder nach Hause zurückkehren kann.
Phase 6: Dreh (9. und 10. Tag)

Grundlage für die beiden Drehtage ist ein Drehplan, den die Studierenden nach Fertigstellung des Fotoboards gemeinsam erstellen. Hier wird verzeichnet, welche Gruppe in welchem Zeitfenster an welchem Ort dreht. Dabei wird sichergestellt, dass sich die Gruppen nicht gegenseitig z. B. durch Lärm stören können. Ausserdem wird geklärt und notiert, wer wann zusätzliche Hilfe, technisches Equipment oder Komparsen benötigt. Besonders aufwendig in der Planung und Umsetzung sind die bei den Jugendlichen meist sehr beliebten Nachtdrehs. Hier benötigen die Stammgruppen immer wieder Unterstützung bei der Ausleuchtung. Den Dreh an sich gestalten die Jugendlichen relativ selbstständig. Die Regie arbeitet konsequent mit dem Fotoboard und weist die Schauspieler und den Technikstab entsprechend der Notizen im Fotoboard an. Der Dreh erfolgt nicht mehr mit den iPads, sondern mit semiprofessionellen HD Kameras. Die Kameraleute der Stammgruppen werden zuvor in die Bedienung der Kameras eingewiesen.

Phase 7: Postproduktion (10. Tag)

Die Postproduktion beginnt mit dem Grobschnitt, bei dem die gelungenen Einstellungen ausgewählt, ins Schnittfenster gezogen, getrimmt und in der richtigen Reihenfolge entsprechend des Fotoboards arrangiert werden. Geschnitten wird in 2er-Teams im Schichtbetrieb. Eine Schicht dauert zwei Stunden, dann wird das Team abgelöst. Wer nicht schneidet, entwickelt den Soundtrack des Films (mit Musikproduktionsapps am Tablet oder mit realen Instrumenten bzw. Gesang). Die Erstellung eines Trailers, eines Filmplakats und eines Making Offs sind weitere Aufgaben, die bis zur Filmpremiere erledigt werden können.

Phase 8: Vorbereitung und Durchführung der Abschlussgala (11. Tag)

Der letzte Tag dient der Vorbereitung der Abschlussgala. Der Feinschnitt, die Soundmischung des Films wird im Laufe abgeschlossen. Die Teams überlegen sich, wie sie ihren Film anmoderieren und ihren Teil der Abschlussgala gestalten wollen. Abendgarderobe und Aftershowparty sind Pflicht. Für die Premiere werden Einladungen gestaltet und verteilt, der Vorführungssaal geschmückt und alles für einen gelungenen Abend vorbereitet.

Phase 9: Abschied und Abreise (12. Tag)

 

 

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